Am 8. Mai 2023 erinnern wir in einer Gedenkfeier an die Deportation vom 9. April vor 80 Jahren. Was ist damals passiert? Was ist aus den 77 Frauen geworden?
Hier finden Sie Antworten:
Die Nationalsozialisten haben zwischen 1933 und 1945 ihre Macht zu unmenschlichen Verbrechen missbraucht. Die „Erinnerungsinitiative Opfer des Nationalsozialismus in Drolshagen“ hat sich zur Aufgabe gesetzt, an Menschen aus Drolshagen zu erinnern, die Opfer dieser Verbrechen wurden.
Wir erinnern an 77 Frauen, die am 9. April 1943 aus Drolshagen deportiert wurden.
Am 9. April 1943 wurden 77 Menschen in den frühen Morgenstunden aus dem St. Gerhardus-Hospital Drolshagen deportiert. Für viele von ihnen war es ein Weg in den erbarmungslosen Tod. Es waren 77 Frauen, die dem Weltbild der Nationalsozialisten nicht entsprachen und deshalb in deren Staat als lebensunwert galten.
Zum Teil schon über Jahrzehnte waren diese Frauen in der Station St. Joseph von den dortigen Schwestern betreut, gepflegt und mit leichten Arbeiten betraut worden. Dann sollte mitten im Zweiten Weltkrieg auf staatliche Anordnung ein Teil des St. Gerhardus-Hospitals Drolshagen in ein Reservelazarett der Wehrmacht umgewandelt werden. Hierfür musste die „Abteilung für Epilepsie und Geisteskrankheiten“ geräumt werden. Die Schwestern konnten nur wenige Menschen vor dem Abtransport bewahren, indem sie sie als unverzichtbare Arbeitskräfte für den Weiterbetrieb des Krankenhauses „reklamierten".
(Weitere Informationen und Bilder zum ehemaligen Drolshagener Krankenhaus: hier.)
Das Schicksal der Frauen:
Alle 77 Frauen wurden zunächst in die Provinzial-Heilanstalt Marsberg überwiesen.
• In Marsberg starben 22 Frauen aus dem St. Gerhardus-Hospital.
• 21 Frauen wurden am 4.10.1943 von Marsberg in die Provinzial-Heilanstalt Obrawalde bei Meseritz in Westpreußen deportiert. Die Namen von 18 dieser Frauen finden sich in den Sterbebüchern dieser Anstalt allein in den nachfolgenden 39 Tagen.
• Weitere neun Frauen der Station St. Joseph wurden ebenfalls am 5.10.1943 erneut deportiert; und zwar in die Provinzial-Heil- u. Pflegeanstalt Lüben in Niederschlesien. Ihr Schicksal ist im Einzelnen noch ungeklärt.
• In Marsberg überlebten 25 der Frauen.
Nach einer eher kurzen Phase systematischer, aber geheim durchgeführter Morde an Behinderten und Kranken (1940/41), die man unter dem Begriff Euthanasie zusammenfasst und von den NS-Ideologen als „Gnadentod“ gerechtfertigt wurden, kam es auf Grund von Protesten (z.B. Predigten des Münsteraner Bischofs von Galen) zu einem Stillstand der gezielten Tötungen. Gleichwohl ging das Morden in staatlichen „Heilanstalten“ insgeheim weiter. Die Historiker sprechen von geheimen und dezentralen Tötungen von Patienten, oftmals allein durch Vernachlässigung. Wir fanden bei unseren Recherchen Krankenakten, in denen als Todesurache "Hungertod" eingetragen war.
Nicht alle Patientinnen aus Drolshagen sind nach der Deportation der Ermordung z.B. durch „Spritzen“ oder „Verhungern lassen“ zum Opfer gefallen. Als „Arbeitsfähige“ hatten sie eine Chance, im Betrieb der Provinzial-Heilanstalt Marsberg zu überleben. Aber auch diese Überlebenden haben sicherlich ein Martyrium durchlitten, wie wir es uns heute kaum vorstellen können. Menschen, die schon durch ihre Behinderung einen schweren Stand im Leben hatten, waren hier der Verwahrlosung und dem Hunger ausgesetzt. Die meisten der aus Drolshagen verschleppten Frauen sind ums Leben gekommen.
Der seit 1939 andauernde Krieg forderte immer mehr Opfer unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung. Lazarettplätze mussten geschaffen werden. Die Nazis haben diese Notwendigkeit instrumentalisiert, um ihr Ziel der Vernichtung „unwerten Lebens“ weiter verfolgen zu können. Die Umwidmung der Station St. Joseph in ein Lazarett war ein Alibi für das damit verbundene Verbrechen an den Drolshagener Patientinnen.
Allen musste klar sein, dass allein die „Verlegung“ nach Marsberg für die Betroffenen eine wesentliche Verschlechterung ihrer Lage zur Folge haben würde. Das spätere Sterbenlassen dieser Menschen war ganz im Sinne des nationalsozialistischen Denkens. Es war Mord – und das steht in völligem Gegensatz zur christlichen Achtung vor der Unantastbarkeit menschlichen Lebens.