Jörg Stamm baut Brücken und Häuser aus Bambus in aller Welt (2020)

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Hallo liebe Drolshagener,

Vielen Dank erstmal für Euer Verdienst den Heimatverein weiterzuführen und mit lebendigen Beiträgen zu beatmen. Ich selbst verfolge das Geschehen im Drolshagener Land nur am Rande, denn das Leben hier in der zweiten Heimat verlangt im Alltag doch viel Aufmerksamkeit. Selbst vom großen politischen Geschehen Deutschlands bekomme ich nur die Schlagzeilen mit, sei es durch Beiträge der Deutschen Welle, die hier auf Spanisch die Nachrichten und auch manchmal gute Kulturbeiträge rüberbringt, oder eben durch Facebook und WhatsApp Nachrichten von Freunden aus aller Welt. So wirds mir schon manchmal „heimelich“ wenn Limpen Heinz seine tollen Fotoserien aus dem Drolshagener Land und oft auch ausgezeichnete Landschaftsbilder aus dem Sauerland „posted“. Bilder, die ja im Grunde bei uns auf dem Schmierhagen oder an der Belmicke genauso zu finden wären. Das geht tief!

Nun hat sich der Stephan Schlösser gemeldet und möchte wissen, wie sich denn dieser „Drolshagener Junge” weiterentwickelt hat. Naja, hat er wohl, wie jeder von Euch. Aber ist schon merkwürdig, wenn man diesen Weg kommentieren soll. Einerseits ist der persönliche Reflexionsprozess ganz lustig, wenn man die Freiheit hat, über sich selbst lachen zu können. Andererseits kann ich ja auch nicht alle Intimitäten und Gefühle hier offenstellen, sonst wird man noch ausgelacht – und das hat ja mit Lustigkeit nichts mehr zu tun.


So manch einer kennt mich sicher von früher oder hat mich ab und zu mal auf Erntefest oder am Marktplatz gesehen, denn glücklicherweise kann ich ja ein oder zweimal im Jahr zuhause vorbeischauen. Oft ergibt sich ein kurzer Besuch bei der Familie, da ich meine jährlichen Weltreisen meist über Frankfurt plane. Leider ist mein Vater nach langem Leiden an „Alsheimer“ mittlerweile verstorben, aber ich hab ja noch Mutter und 3 Geschwister, das ist also ein sehr wichtiger Grund, ein paar Tage zuhause die Beine hochzulegen und sich mit Mutters ausgezeichnetem Kuchen, Rollbraten und einem Tropfen Möselchen verwöhnen zu lassen. Na und abends geht „man“ dann auch schon mal mit dem Schwesterchen Birgit aus, sei es mit dem Fahrrad über die alte Bahnstrecke nach Olpe oder zum obligatorische Besuch im “Treppchen”, wo man immer noch ein paar alte Freunde aus KJG Zeiten trifft.

Drolshagen ist ein Museumsdorf geworden! Nicht nur der schöne Marktplatz und die restaurierten Fachwerkhäuser, auch die mittlerweile geteerten Fahrradwege machen echt guten Eindruck. Leider hat so ein Museum immer auch etwas Totes, darüber können auch die Blümchen am Brückengeländer nicht hinwegtäuschen. Auch war dieses Museum Drolshagen ja nie so, wie es sich jetzt darstellt. Seltsamerweise gehen die Erinnerungen immer gleich sehr weit zurück in die Kindheit der 60 und 70er Jahre, statt in den 80er und 90er zu landen, wobei ich damals doch auch dort gelebt habe. Wenn ich an mein Elternhaus denke, ist es die Baufirma Stamm an der alten Landstraße, gegenüber das alte Sägewerk von Sondermanns Paul. Zur „Bieke“ runter gingen feuchte Wiesen, der ehemalige Mühlenteich. Genau da, wo Rose und Wormicke zusammenfließen, hatten wir mit der kinderreichen Nachbarschaft ganze Hafenanlagen für unsere Spielzeugschiffchen gegraben. Da würde heute die Polizei kommen… in den 70ern wurde gerade dort eine hochmoderne Abbundhalle gebaut, in der „Onkel“ Gerhard, der selbstbewusste Vater von Joachim und Georg Reissaus am Reißboden stand und besonnen vor sich hin zimmerte. Dieser gute Freund meines Vaters hat mich wohl tiefer beeinflusst, als ich es damals wahrnahm, jedenfalls bin ich später auch als Holzhandwerker auf die Walz gegangen.


Aber dann, Stückchen für Stückchen verschwinden diese Bilder ganz unscheinbar, erst jetzt fällt mir auf, dass das oben genannte Museum nicht mit meinem Bild übereinstimmt. Genauso unecht wie der Marktplatz ohne den geliebten Löwen.

Ich gehe gern zu Fuß durch Drolshagen, und jedes Mal hupen irgendwelche Autos, wie zum Gruß. Zum Antworten nick ich nur, in Wirklichkeit frag ich mich: „Wer mach denn dat wohl jewesen sein”? Durch die abgedunkelten Scheiben sieht man ja erstens nicht, wer drin sitzt und zweitens sehen die meisten ja auch etwas .. naja… „faltiger“ aus,…. und nach nem Namen brauch ich schon gar nicht mehr zu suchen… der Vorname kommt ja dann noch oft, aber wenn ich überlegen muss, wie mein Freund, Klofels Georg eigentlich mit Nachnamen heißt? Außerdem pflegte man ja traditionell in Deutschland die Unsitte, den Mädchen den Nachnamen wegzunehmen, ein Problemchen, mit dem ich mich alle 10 Jahre auf dem Abiturtreffen herumschlagen muss.

Eine andere ungewohnte Perspektive erlebe ich jedes Mal bei den über alles geliebten Waldspaziergängen. Nach einem Tag im Flieger geht es meist gleich am nächsten auf den Hausberg, den Schmierhagen oder auch mal auf Steupingen. Da gibt es Jahre, wo ich durch beindruckende dicke, hohe Fichtenwälder laufe, die ja vor 50 Jahren grad mal mannshohe „Tannenbäumchen” waren. Wenn man alle paar Wochen mal durch „joggt“, bekommt man das ungeheure Wachstum gar nicht mit, aber solche punktuellen Besuche im Generationenschritt sind da schon beeindruckend.

Und letztes Jahr habe ich mitbekommen, wie die Leute - oder soll ich treffender sagen, die Vollernter - von Barons Michael an einem Tag den ganzen Wald umlegten. Der Borkenkäfer, sagte mir der Förster, wird jetzt gleich nach China verschifft. Das Sauerland hat 70% seiner Fläche mit Wald aufgeforstet, hieß es stolz noch vor wenigen Jahren auf der Holzmesse in Hannover. Und jetzt geht das Holz unter Selbstkostenpreis aus dem Land. Da fühle ich mich endlich nicht mehr schuldig, dass ich damals sowohl „Barons“ als auch „Paul’s Manfreds“ junge Fichtenschonungen am Schmierhagen gleich reihenweise ‘umgelegt’ hatte.


Na gut, das sind Reflexionen die jeder von Euch in der Heimat auch nachvollziehen kann. Aber ich denke mal, Ihr wollt wissen, wie ich denn so in der Ferne klarkomme. Immerhin ist Kolumbien ja berühmt für Gewalt und Drogen. Um ehrlich zu sein, es gibt ihn noch, den Wilden Westen, und ich bin ein paar Mal in Situationen gekommen, die gleichzeitig interessant, aber durchaus auch ein bisschen gefährlich hätten werden können. Aber es sind meistens Sachen, die mit Autofahren zu tun hatten, und das kann ja auch auf der Sauerlandlinie mal rutschig werden. Hier auf 1700 Meter Höhe in den tropischen Anden schneit es zwar nicht, aber wenn es regnet, dann wie aus Eimern. Da gibt es dann lawinenartige Erdrusche, in den Alpen auch Muren genannt. Die ungeteerten Straßen über die Pässe weichen oft so auf, das man bis zum Chassis im Schlamm steckt und die Schüppe rausholen muss. Also es ist fast so, wie bei Tiefschnee, übrigens genauso rutschig, und da kracht es eben schon mal.

In den 90ern habe ich Holzbrücken im Amazonasgebiet gebaut. Drei Tagesreisen östlich, tief im Dschungel, oder was die Koka-Plantagen davon übriggelassen haben. Das war schon beeindruckend, so uralte, riesengroße Bäume zusehen. Die meisten allerdings, bis 2 Meter dick, lagen umgesägt inmitten von großen Kokaplantagen: Die Holzfäller oder Bauern hatten sich noch nicht mal die Mühe gemacht diese Edelhölzer in Bretter zu schneiden. Mit Kokain verdient man hier halt doppelt so viel wie ein normaler Bauer, obwohl die eigentliche Gewinnspanne erst so richtig anfängt, wenn man das aufbereitete Zeug in den USA oder in Europa verkauft.


Angst hatte ich seltsamer weise niemals, weil ich mich strickt an die hier üblichen Spielregeln hielt: 1) Steck dir nichts in die Nase, und 2) Steck deine Nase nicht in Sachen, die Dich nichts angehen. Allgemein gilt auch hier: Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich eben auch mal. Als Deutscher war ich dort unten im Busch sogar gern gesehen. Als ich für die Regierung ein paar Brücken baute, fragte mich einer der Bauern mal überraschenderweise ob ich „Thomas“ kenne, der sei auch Deutscher…. Aha? Und? Na er kommt alles halbe Jahr mal her und kauft mir eine halbe Tonne „Ware“ ab, er war grad vor ein paar Wochen da…! …Nee, kenn ich noch nicht, ... aber wenn er in 6 Monaten wieder kommt, habe ich meine Brücken wahrscheinlich schon fertig und bin nicht mehr hier. Dann meine Frage an ihn: Wie kriegt er das Zeug denn raus? Die Straßen sind doch alle voller Polizeikontrollen? … Na das hat der schon vorher mit dem Kommandanten geregelt, und dann geht die Ware per selbstgebautem U-Boot raus auf den Pazific, wo ein Schiff wartet…. GPS machts möglich. Immer wieder erstaunlich, dass sich im modernen Wilden Westen die Einheimischen sowohl mit dem Revolver auskennen, als auch mit den satellitengestützten Navigationssystemen.


Die romantische Seite Kolumbiens sieht man allerdings nur, solange wie man nicht gezwungen ist, Geld zu verdienen. Mitte der 90er fing alles toll an. Als frischer Unternehmer macht man das, was man um sich herum sieht: Es gab einen Bauvertrag mit der Landesregierung, Zuschlag je nach Kostenvoranschlag, inclusive Steuern fürs Baugewerbe, die lagen bei etwa 15%.

Als Baumeister im Dschungel braucht man keine Bauanträge, zahlt billige aber faire Löhne, unkomplizierte Arbeitsverträge per Handschlag, keine Krankenkassen und Renten. Alles war damals so wie Deutschland in den 60ern, als es noch Tagelöhner gab und das Geld in Lohntüten verschlossen bar ausgezahlt wurde. Das dachte ich mir so, und so fing es auch gut an…. bis zur letzten Abschlagszahlung: da hielt der Bürgermeister dann plötzlich die Hand auf und fragte nach mindestens 10% für die Müttervereinigung… ich sollte das Geld erstmal auf’s Konto der Vorsitzenden überweisen, übrigens das seiner eigenen Mutter, wie er stolz einräumte. Naja es wäre ja schön, wenn sich die Familie auch ums Wohl der Gemeinde kümmert. Nur im Vertrag stand davon nichts, und ich hatte auch keine Möglichkeiten seiner Mutter zu helfen, da ich solche „Sozialabgaben” vorher nicht eingerechnet hatte. So gabs dann eben keine Endabrechnung und ich ging mit leerem Geldbeutel nach Hause. Aber reichlich Erfahrungen habe ich gesammelt! Naja, die Bürgermeister stecken alle unter einer Decke und es sprach sich schnell rum: Ist ja ganz nett dieser Gringo, aber mit dem kann man keine „Geschäfte“ machen.


So war ich denn relativ schnell pleite und musste mich nach einem neuen Job umsehen. Glücklicherweise lief mir 1999 auf einer Bambuskonferenz in Guayaquil jemand von der UNO über den Weg und lud mich nach Ghana in Afrika ein. Dort sollte ich erzählen, wie man Bambusbrücken baut, Fußbodenbretter aus Bambus herstellt etc.. Kein Problem, denn ein Schreiner kann alles… (der Spruch ging ein bisschen anders, ist hier aber etwas zu unkeusch, … fragt mal bei Gelegenheit Schürmanns Heinz.)

Solche Bambusfabriken, bzw. die holz- und bambusverarbeitenden Maschinen wurden dann von der UNIDO (einer UN Organisation, die sich um industrielle Entwicklung sorgt) in China eingekauft und anschließend von mir installiert, mit entsprechendem Personaltraining und Markteinführung. Davon habe ich etwa 15 Jahre gelebt, immer mal wieder gab es irgendwo eine Katastrophe. Ein Jahr danach ging es ins entsprechende Land, um meist nach dem gleichen Schema Bambusfabriken zu installieren. Nach einem Jahr wurde die Anlage operationsfähig an die jeweilige Regierung übergeben…. und das war es dann meist auch schon, denn Regierungen sind keine guten Unternehmer. Nur wenige sind heute noch in Betrieb, aber dennoch haben sich die Investments meist gelohnt: Nach dem Tsunami in Sumatra habe ich dort so eine Schreinerei installiert, mit tollen Maschinen und motivierten Handwerkern. Aber bereits einen Monat nach Übergabe war kein Geld mehr fürs Wachspersonal da. Selbst die schweren Maschinen waren innerhalb von 3 Tagen geklaut und wurden auf dem Schwarzmarkt weiterverkauft. Da steckt doch sicher einer der Verwaltungsbeamten dahinter, oder? Egal, geht mich nichts an, oder? Die internationalen Spendengelder müssen ja ausgegeben werden, - ohne Mittelabfluss regt sich weder bei der NO noch bei kleinen NGOs auch nur ein Rädchen. Ich frag mich nur, warum meine Geschwister so viel Steuern zahlen? Wenigstens ist ein Teil davon bei mir gelandet, - und ich bin ja bekannt dafür, dass man mit mir keine „Geschäfte“ machen kann.


Aber es gab auch Baustellen, auf die ich mit Recht stolz sein kann: zum Beispiel die verschiedenen Bambus-Schulbauten in den Slums von Cali (Montebello, hier in Kolumbien), oder genau auf der Gegenseite des Globus, die „Greenschool“ in Bali. Schaut mal bei Apple TV herein, die haben gerade die Projekte gefilmt. In Indonesien habe ich noch ein faszinierendes Tierschutzprojekt tatkräftig unterstützt: Die Schweizer Umweltstiftung Paneco unterhält dort eine Art Altersheim für Orang Utans, die nicht in den Wald zurückgegeben werden können, da sie nach langem Käfigaufenthalt entweder psychisch krank sind oder infektiöse Krankheiten haben. Diese Tiere werden gerade in eine Art käfigfreien Zoo umgesiedelt, auf von Wasser umgebenen künstliche Inseln gebracht, wo sie artgerecht leben dürfen. Die Zugangsbrücke sowie ein zweistöckiges Hotel-Restaurant habe ich für diese ehrenwerte NGO mitten in den Dschungel gestellt. Viele internationale Gäste kommen in Reisegruppen zu etwa 20 Personen, mit entsprechend geschulten Reiseleitern. Die Unterbringung in der Ecolodge ist vom Besten, das Essen auch, hygienisch und gesund. Meistens sieht man Holländer (ohne Wohnwagen!), denn die interessieren sich für ihre ehemaligen Kolonien, und natürlich für ihre ebenfalls rothaarigen Artgenossen. Ja, Orangs sind auch Menschen: Hutan heißt Wald und Orang Menschen - und zwar die von der besten Sorte. Die Ecolodge Bukit Lawang ist ein wirklich empfelendwertes Reiseziel in Sumatra, übrigens leicht von Thailand aus zu erreichen, googelt mal.

So das reicht jetzt erstmal, ich muss ja auch noch etwa für den nächsten Bericht lassen, - in diesem Rhythmus wäre das etwa in 15 Jahren…

Alles Gute, Jörg Stamm

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http://bambus.rwth-aachen.de/de/

Bambus Brücke in Sumatra, Foto Jörg Stamm